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Hadsch und Umra mit Muhammad Siddiq - Soultreat

Hadsch 2006 - Erlebnisse einer Pilgerin

Ich beschreibe hier meine persönlichen Erfahrungen, Eindrücke und Gedanken. Andere Pilger haben sicherlich teils andere Erfahrungen gemacht oder beurteilen das Erlebte in ganz anderer Weise.

Lange Zeit war ich unschlüssig gewesen, ob ich mich überhaupt für diese Pilgerfahrt anmelden sollte. Bin ich denn wirklich bereit dafür? Würde ich alles richtig machen? Sollte ich danach dann das Kopftuch tragen? Wäre es nicht besser, noch einige Jahre zu warten? Eine meiner insgeheim größten Sorgen war aber die, dass ich die vorgeschriebenen Pflichten ausführen, mich das alles aber innerlich nicht berühren würde. Ich hatte Angst, wieder zurückzukommen und sagen zu müssen: „Ja, ich war dort, aber ich habe nichts dabei empfunden." Als erst im Erwachsenenalter zum Islam Konvertierte, bin ich aufgewachsen ohne Erzählungen von heimgekehrten Pilgern oder ansprechenden Fernsehberichten und einer damit geweckten Sehnsucht, Orte wie Mekka, Medina und Arafat selbst auch zu besuchen. Die immer wiederkehrenden Meldungen von schrecklichen Unfällen und die Bilder von dem Gedränge der Menschenmassen haben mich zusätzlich abgeschreckt. Sicher, die Hadsch zählt zu den Pflichten eines Muslims, aber ich hatte eigentlich nicht vor, in absehbarer Zeit diese Reise zu unternehmen. Als sich mir nun ohne mein Zutun die Gelegenheit bot, an der Pilgerfahrt teilzunehmen, zögerte ich darum zunächst. Schließlich überlegte ich mir: Jetzt kann ich die Hadsch machen. Wer weiß, was nächstes oder übernächstes Jahr sein wird? Also habe ich mich doch angemeldet und ich habe es nicht bereut.

Wovon manche enttäuscht waren, war das Verhalten einiger Menschen dort. Das muss man sich vorher klarmachen: Es gibt dort auch Leute, die keine redlichen Absichten haben. Man sieht vieles, was einen befremdet, enttäuscht oder verärgert. Aber das ist das Fehlverhalten einzelner, das ist nicht die Pilgerfahrt. Ich habe niemanden getroffen, der von der Hadsch selber nicht beeindruckt gewesen wäre. Somit würde ich mir jetzt nicht mehr die Frage stellen, bin ich bereit für die Hadsch, sondern bin ich bereit, damit umzugehen, dass sich nicht alle Muslime immer richtig verhalten.

Es hieß im Vorfeld immer „Hadsch ist Anstrengung". Man hört das und denkt an die zahlreichen alten Menschen, die die Pilgerfahrt machen und glaubt, dass die Anstrengungen für einen selber, der man ja noch jung und gesund ist, nicht so groß sein werden. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass die Hadsch wirklich sehr anstrengend war. Die zu absolvierenden Stationen verlangen zwar schon eine Portion Energie, oft sind es aber mehr die Umstände, die einen Kraft und viele Nerven kosten. Bei unserem Vorbereitungstreffen war von zwei Koffern gesprochen worden, die wir benötigen würden. Einen Koffer für unser Gepäck und einen voll mit Geduld. Bei jeder Hadsch passieren nämlich unvorhergesehene Dinge, die die Geduld jedes einzelnen auf die Probe stellen. So war es dann auch bei uns.

Zum Ablauf: Die Pilgerfahrt dauerte vom 29.12.2005 bis zum 21.1.2006. Wir waren somit drei Wochen in Saudi-Arabien. Die erste Woche waren wir in Medina, in der zweiten Woche lag die Pilgerfahrt und die restliche Woche haben wir in Mekka verbracht.

Medina

Medina war die Zeit des Kennenlernens. Ich hatte ja die Befürchtung gehabt, das Hotelzimmer mit Frauen teilen zu müssen, die kaum Deutsch sprechen und niemanden zu finden, mit dem ich reden kann. Alle Sorgen umsonst! Die Zimmerbelegung hätte gar nicht besser sein können. Wir waren zu viert und haben eine unvergessliche Woche verbracht: Frühes Aufstehen, um zusammen in die Moschee zu gehen, viele Gespräche - ernste, aber auch solche, bei denen wir kaum noch mit dem Lachen aufhören konnten. Es gab Ausflüge und bei einem Hadsch-Seminar wurde besprochen, was während der Pilgerfahrt auf uns zu kommen würde.

Medina hat mir - und ich denke auch den anderen - sehr gut gefallen. In der Moschee dort zu beten, habe ich als sehr bewegend empfunden. Es sind unglaublich viele Menschen, die dort zusammenkommen und dennoch liegt über allem eine friedliche Stimmung. Vor den Gebeten haben sich die Leute oft unterhalten oder viele haben im Koran gelesen. Dafür dass dort eine so große Menschenmenge zusammenkam, war es doch vergleichsweise sehr ruhig. Es gab manchmal Momente beim Gebet, z.B. beim Sugud (der Niederwerfung), wo man gar keinen Laut mehr gehört hat. Tausende von Menschen sind beisammen und wirklich alle sind für einen winzigen Moment still. Gut, ich weiß, dass man sich beim Gebet aufs Beten konzentrieren soll und nicht darauf, wie still es ist, aber es war einfach so, dass mir die Stille eben einige Male aufgefallen ist und mir dieser Moment viel gegeben hat. Schwer zu beschreiben.... Vielleicht kennen manche das auch, dass man für einen kurzen Augenblick das Gefühl hat, dass die Zeit stehenbleibt und für diesen einen Moment ist alles richtig und gut. Diese Augenblicke absoluter Stille waren zugegebenermaßen selten, denn im Laufe der Zeit waren immer mehr Leute am Husten und draußen vor der Moschee, wo wir auch oft gebetet haben und wo ich den Gleichklang des Gebetes in der großen Menschenmenge besonders beeindruckend fand, war es nie ganz still, weil man in der Ferne immer ein leises Brummen hörte. Das Brummen - so haben wir bald herausgefunden - kam von den Rolltreppen, die zu den unterirdischen Wasch- und Toilettenanlagen führten. Drei Etagen tief erstrecken sich diese Anlagen! Dort habe ich einmal eine Frau gesehen, die offensichtlich keine Rolltreppen kannte und zunächst große Angst hatte, diese zu benutzen. Mich hat das gerührt und daran erinnert, wie selbstverständlich wir die uns umgebende Technik inzwischen nehmen.

Vor einem der Gebete in Medina war es auch, als ich beim Anblick der unzähligen Pilger daran denken musste, wie viele Menschen auf der Welt in diesem Moment wohl gern hier bei uns wären. Wie viele Menschen sind es, die an der Pilgerfahrt teilnehmen möchten und können es nicht? Sie können aus beruflichen oder familiären Gründen nicht, sie sind krank oder zu alt und gebrechlich. Manche Muslime sparen lange für diese Reise und bekommen dann doch kein Pilgervisum. Wie viele Menschen träumen davon, hierher kommen zu dürfen? Jahrelang hoffen, beten und warten sie geduldig und dennoch geht ihr Wunsch nicht in Erfüllung. Mir dagegen war die Pilgerfahrt wie auf einem Silbertablett serviert worden: Mein Mann, der die Hadsch schon gemacht hatte, wollte mir dies auch ermöglichen und hatte mir von sich aus angeboten, für die betreffende Zeit Urlaub zu nehmen, um unsere Kinder zu betreuen. Der Gedanke, dass ich monatelang gezögert hatte, bis ich mich zur Anmeldung durchgerungen hatte, war mir nun sehr unangenehm. Hätten viele andere Muslime es nicht weitaus mehr verdient hier zu sein? Stattdessen habe ausgerechnet ich von Gott diese Chance bekommen, obwohl ich nichts dafür getan hatte. Für mich war die Hadsch plötzlich wie ein Geschenk, das in mir ein Gefühl von grenzenloser Dankbarkeit ausgelöst hat. Ein Gefühl, das noch bis heute anhält.

Das Prophetengrab, die Rauda und die Frauen.

Wir haben gleich am ersten Morgen in der Moschee versucht, in die Rauda zu kommen. Die Rauda ist der Bereich zwischen Prophetengrab und früherer Predigtkanzel (Minbar). Für die Frauen gibt es eigene Öffnungszeiten und wir dachten, wir würden alles zu sehen bekommen. Wir waren extrem früh aufgestanden, um uns gute Plätze zu sichern, damit wir nicht beim Einlass stundenlang warten müssen. Als es soweit war, mussten wir dann feststellen, dass die Aufseherin, die uns in die hinterste Abteilung des Frauenbereiches geschickt hatte, weil dort die Türen zum Männerbereich und der dort gelegenen Rauda geöffnet werden würden, entweder selber keine Ahnung hatte oder uns gezielt in die falsche Ecke geschickt hatte. (Wir vermuteten Letzteres...) Jedenfalls wurde der Frauenbereich an einer ganz anderen Stelle geöffnet und wir waren damit ganz am Ende der langen Warteschlange. Wir haben uns trotzdem angestellt. Das Geschiebe und Gedränge war zeitweise ganz extrem. Irgendwann kamen wir zu einer größeren Fläche, wo viele Frauen standen, saßen und beteten. Einige der Frauen dachten, sie seien in der Rauda und wollten in der Menge unbedingt beten. Ich hatte zwei Mal wirklich Angst, dass die Leute auf die Betenden treten würden. Denn die Menschen weiter hinter konnten ja nicht sehen, was vorne passiert und haben sich immer weiter geschoben. Wir haben dann gemerkt, dass man sich noch weiter anstellen muss und sind nach weiterem Warten in den Bereich der früheren Moschee gekommen. Man konnte das daran erkennen, dass die Decke anders gestaltet war. Schließlich hat man durch die allgemeine Unruhe gespürt, dass jetzt gleich etwas Besonderes kommt. Die Menge hat uns dann mit ungeheurem Druck durch einen engen Durchgang und anschließend gleich rechts um die Ecke geschoben und das war`s dann. Ich war maßlos enttäuscht. Wir hatten doch überhaupt nichts gesehen! Dazu muss man sagen, dass die Wege, die wir gegangen waren, seitlich mit mannshohen weißen Sichtblenden flankiert waren. Gerade auch in dem ganz engen Durchgang war die Sicht nach links und nach vorne versperrt. Ich war völlig irritiert, waren nun links die Gräber oder vorne oder wo sonst? Was davon bitte war die Rauda gewesen? Das kann doch nicht alles gewesen sein!

Mich hat auch das Verhalten mancher Frauen befremdet. Sie haben die Säulen mit Tüchern oder ihren Händen abgerieben und sich dann damit übers Gesicht gefahren. Sie haben mit einer solchen Leidenschaft gebetet, dass ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich zu Gott oder doch eher zu Mohammed beten. Ich habe mich mit einem Mal fehl am Platz gefühlt. So viele Pilgerinnen, die emotional ganz bewegt sind und ich stehe daneben und fühle nichts oder zumindest nicht das, was die anderen zu fühlen scheinen. Sicher, die meisten Frauen waren einfach tief bewegt, in der Nähe der Grabstelle des Propheten zu sein. Der Gedanke hat mich auch berührt. Aber ab wann die Bewunderung und Verehrung in Personenkult oder gar Anbetung übergeht, das erschien mir bei manchen Frauen nicht so klar abgegrenzt zu sein.

Einige Tage später haben wir zu zweit nochmals einen Versuch gestartet, in die Rauda zu kommen. Das hat meinen ersten Eindruck dann wieder etwas geglättet und mich halbwegs versöhnt. Irgendwie fand ich das Gedränge nicht mehr so erdrückend und der schlauchartige enge Durchgang vom letzten Mal war gar nicht mehr da. Die linke Seite war dieses Mal nämlich nicht abgesperrt und der zu Verfügung stehende Raum war dadurch erheblich größer. Warum beim ersten Mal der eh nicht große Raum für die Frauen noch kleiner gemacht worden war, weiß ich bis heute nicht. Jetzt konnte man tatsächlich den grünen Teppich der Rauda erkennen und hatte Zeit, ganz kurz zwei Rakat (Gebetseinheiten) zu beten. Nach vorne war weiterhin die hohe Absperrung. Man konnte über der Sichtblende den oberen Teil der Minbar sehen, dort auf der anderen Seite befanden sich der übrige Teil der Rauda und die Gräber. Dorthin haben Frauen aber keinen Zutritt, wie wir enttäuscht feststellen mussten.

Ganz in der Nähe der Moschee ist der große Friedhof, auf dem viele Prophetengefährten begraben sind und auf dem auch während unseres Aufenthaltes Beerdigungen stattfanden. Hier gilt ebenso wie für das Prophetengrab: Betreten für Frauen verboten. Was ich davon halte, muss ich wohl nicht näher ausführen...

Modische Trends dieser Saison

Was uns in Medina überrascht hat, war die bunte Kleidung einzelner Pilgergruppen. Viele Gruppen waren einheitlich gekleidet. Für die Betreffenden war das vielleicht langweilig oder auch unangenehm. Bei einigen trugen alle Frauen nämlich neongrüne oder grellorangene Übertücher. Bei einer Gruppe war das Gelb so schrill, dass es schon im Auge wehgetan hat. Andererseits ist auf diese Weise sicher niemand verloren gegangen, denn mit den schreiend bunten Farben konnte man alle Mitglieder seiner Gruppe auch aus weiter Entfernung noch sehen. Oft war auf der Rückseite der großen Tücher der Frauen das Herkunftsland genannt. Das fand ich sehr praktisch, denn so wusste man gleich, woher eine Gruppe stammt. Bei den Afrikanerinnen war es besonders farbenfroh. Viele von ihnen hatten Kleider, die die jeweilige Nationalflagge, den Namen und die Umrisse des Landes in bunt aufgedruckt hatten und dann darüber einen Überwurf, der nochmals das Land nannte. Die Kleidung als Informationsträger. In unserer Gruppe hat jede Frau das getragen, was sie wollte. Wir Europäer sind schließlich Individualisten. Dafür mussten wir - ohne Neonfarben - aber auch viel mehr aufpassen, um uns nicht aus den Augen zu verlieren. Alles hat seinen Preis.

Der Beginn der Pilgerfahrt

Nachdem wir eine Woche in Medina verbracht hatten, stand nun das eigentlich Ziel unserer Reise vor uns: Die Hadsch. Wir haben uns noch im Hotel in Medina vorbereitet und die Pilgerkleidung angezogen. Dann sind wir in Richtung Mekka gefahren. In Abyar Ali, einer kleinen von Palmen umgebenen Moschee, haben wir angehalten, um zwei Rakat zu beten und die Absicht für die Hadsch zu fassen. Die nächsten beiden Tage haben wir etwas außerhalb von Mekka in einer „Isteraha" verbracht. Wir waren untergebracht in einer Art Feriencamp. Es war richtig schön dort. Man hatte sich wirklich Mühe gegeben mit der Gestaltung der Außenanlagen und der Räumlichkeiten. Nur hatten wir wenig Zeit, die angenehme Umgebung zu genießen.

Denn am ersten der beiden Tage standen für uns Tawaf und Sai auf dem Programm. Tawaf ist das siebenmalige Umschreiten der Kaaba und Sai ist das siebenmalige Laufen zwischen den Hügeln Safa und Marwa. Wir sollten in drei Gruppen nach Mekka fahren und abends um 23 Uhr würde der letzte Bus zurück fahren. So war die Planung, allerdings sieht die reale Umsetzung bei der Hadsch in der Regel meist etwas anders aus. Für uns alle wären sechs Busse nötig gewesen. Vier waren zugesagt worden, darum auch die Aufteilung in Gruppen. Von den versprochenen vier Bussen kamen nur zwei und der eine davon ging bald kaputt, so dass schließlich nur noch ein Bus zur Verfügung stand. Ich bin mit der dritten Gruppe abends um 20 Uhr losgefahren. Der Busfahrer, der vermutlich schon die ganze Zeit gefahren war, war sichtlich gestresst und seine Laune besserte sich auch nicht, als wir in der Innenstadt von Mekka in den totalen Verkehrsstau gerieten und fast gar nicht mehr weiterkamen. Die restliche kurze Strecke sind wir dann zu Fuß gelaufen.

Die Moschee in Mekka hat - genau wie die in Medina - einen sehr großen leeren Platz ringsum, der auch zum Beten genutzt wird. Dennoch hat man in Mekka das Gefühl, dass die Moschee direkt von riesigen Hochhäusern umzingelt wird. Derzeit wird an einem neuen gigantischen Gebäudekomplex gearbeitet. Die beiden obersten Türme sehen aus, als wäre zwei Hochhäuser übereinander gesetzt worden und sie überragen alle umliegenden Gebäude. Es sollen sogar noch höhere Häuser dazu gebaut werden. Die Gebäude sind natürlich deshalb so hoch, damit man von dort aus auf die obere Etage der Moschee, vielleicht sogar auf die Kaaba, blicken kann. Der Wunsch ist zwar verständlich, aber die Häuser sind so nah an der Moschee und vor allem so überproportional hoch im Vergleich dazu, dass das insgesamt deplaziert wirkt. Die neuen Hochhäuser sind sogar noch höher als der Königspalast, der auch schon höher als die Moschee gebaut ist und dann noch direkt daran grenzt. Wenn man darauf zuläuft, glaubt man die Moschee und der Palast seien zusammen gebaut. Erst wenn man näherkommt, sieht man, dass dazwischen ein Weg für Fußgänger ist. Gemessen an der Größe der beiden Gebäude, ist dieser Durchgang aber verschwindet klein und der Palast wirkt wie an die Moschee angeklebt.

Tawaf und Sai

Wir sind zum dem Tor bzw. der Halle gegangen, in der sich unsere Gruppe später wieder treffen wollte und dann sind die Leute in kleinen Gruppen oder auch allein losgezogen.
Jetzt kam auch der spannende Moment, in dem wir zum ersten Mal die Kaaba direkt sehen konnten. Wie es war? Irgendwie war ich enttäuscht. Wir waren in der ersten Etage und von dort sah die Kaaba eher klein aus. Das war aber nicht so wichtig, wir wollten schließlich hier unsere Pilgerpflichten erfüllen. Also haben wir (wir waren zu zweit, darum der Plural) mit dem Tawaf begonnen. In der ersten Etage kann man schlecht auf die Kaaba heruntersehen, um sich dort zu orientieren. Direkt am Geländer ist ein schmaler Gang, den die Rollstuhlfahrer und deren Begleiter nutzen. An dem Geländer dahinter stehen fast immer Leute, die beten oder hinuntersehen wollen. Die direkte Sicht ist also meist verstellt. Um zu wissen, wo eine Runde beginnt, gibt es darum in den drei Etagen jeweils eine grüne Lampe. Auf dem Weg zur Lampe und damit dem Beginn des Tawafs für uns, ist mir ein Mann aufgefallen, der schon eifrig dabei war, seine Runden zu laufen und währenddessen sehr angeregt mit dem Handy telefoniert hat.

Wir haben also unsere sieben Runden gemacht, zwei Rakat in Richtung Maqam Ibrahim gebetet, vom Zamzamwasser getrunken, nochmals Bittgebet in Richtung Multasam (Teil der Kaaba zwischen schwarzem Stein und der Tür) und anschließend den Lauf zwischen Safa und Marwa.
Um Zamzamwasser zu trinken, muss man auch nicht mehr zum Brunnen gehen. Der Zugang ist komplett geschlossen worden. Überall in der Moschee (auch schon in Medina) stehen Wasserspender mit Plastikbechern, wo man sich Zamzamwasser holen kann.

Weder beim Tawaf noch beim Sai hatte ich ehrlich gesagt ein „erhebendes" Gefühl. Es war gar nicht so einfach, sich auf persönliche Bittgebete zu konzentrieren, weil man ständig von irgend etwas abgelenkt wurde. Anfangs hatte ich den Eindruck, von einigen Rollstuhlfahrern gejagt zu werden. Es gab ja den extra Gang für sie, der aber nicht ganz rundum ging und viele wollten ihn - wohl wegen der hohen Staugefahr - nicht nutzen. Jedenfalls hatten die Rollstuhlschiebenden ein beachtliches Tempo drauf und der oder die im Rollstuhlsitzende hat dann mit einem ständigen: „Gsch! gsch! gsch!" für freie Bahn gesorgt und die Leute weggescheucht. Dann war um diese Zeit auch noch die Putzkolonne unterwegs. Die Männer haben eimerweise Wasser ausgeschüttet und mit dem Wischer in beachtlicher Geschwindigkeit vor sich her geschoben. Wir hatten wegen des harten Bodens extra dicke Socken an und wollten deshalb nicht durch die Pfützen laufen und mussten darum ständig auf der Hut vor den Wassereimern sein. Irgendwann hörte man plötzlich von unten, wo die Pilger um die Kaaba liefen, laute Sprechchöre. Wir konnten nicht verstehen, was die Leute gerufen haben und wussten nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte. Nach einer Weile wurden die Rufe wieder leiser und hörten schließlich ganz auf. Ab der dritten Runde haben mir dann die Füße wehgetan. Am Ende habe ich nur noch einen Fuß vor den anderen geschoben. Beim Sai fand ich das sogar ganz passend, denn der Lauf soll uns ja an Hagar erinnern und ich dachte mir, sie hat auf ihrer Suche nach Wasser wohl mehr ausstehen müssen als nur müde und schmerzende Füße. Da wir den Lauf in der ersten Etage gemacht haben, hatte ich mich noch gewundert, dass von Hügeln die Rede ist. Als wir fertig waren und nach unten geschaut haben, konnte man sehen, dass dort tatsächlich ein kleiner Rest des steinernen Hügels erhalten ist.

Wir hatten mit Tawaf und Sai die erste Station hinter uns gebracht. Ich hatte erwartet, dass man gerade beim Tawaf in andächtigerer Stimmung sein würde, was mir angesichts der schon erwähnten Vorkommnisse schwer gefallen ist. Aber im Grunde war ich zufrieden, denn wir hatten nun einen wichtigen Bestandteil der Hadsch absolviert. Die nächsten Umrundungen der Kaaba würden sicher schöner verlaufen.

So etwa gegen drei Uhr früh sind wir wieder im Bus gewesen. Ich hatte noch gedacht, das wird doch wohl hoffentlich jetzt ein anderer Busfahrer sein. Nein, es war nach wie vor der gleiche genervte Fahrer. Er war absolut nicht damit einverstanden, dass wir nicht sofort zurückfahren, sondern auf die noch Fehlenden warten wollten. Er hat angefangen herumzuschreien und zwischendurch immer wieder die Tür zugemacht, so als würde er gleich abfahren. Die Ankunft unserer Nachzügler hat sich noch geraume Zeit verzögert. Uns war das egal, wir konnten uns ja im Bus ausruhen und viele haben auch schon geschlafen. Der Fahrer ist aber irgendwann ausgerastet, hat die Tür zugemacht und ist einfach losgefahren, obwohl noch mehrere unserer Gruppenleiter auf dem Gehweg standen. Ich war platt. So etwas kann ein Busfahrer doch nicht machen! Obwohl er mir irgendwo auch Leid getan hat, der Mann war völlig überarbeitet. Bei uns in Deutschland gibt es doch Gesetze über die Lenkzeiten und da hätte er nie solange...... Ich wollte gar nicht nachrechnen, wie viele Stunden er schon am Steuer gesessen hatte und war froh, dass er uns heil in unserem Camp abgesetzt hatte und nicht an den nächsten Baum gefahren war. Aber was würde jetzt aus den Zurückgelassenen und den Nachzüglern werden? Unsere Fahrt war doch die letzte gewesen! Die in Mekka Verbliebenen wussten sich zu helfen. Sie haben Taxis genommen und sind schon bald nach uns im Camp angekommen. Als wir uns schlafen gelegt haben (oder zumindest versucht haben zu schlafen), war es schon früher Morgen.

Mina

Nachdem wir einen Ruhetag im Camp verbracht hatten, wahlweise beschäftigt mit Wäsche waschen, ausruhen, dem Besuch eines Vortrages oder Gesprächen, ging es am folgenden Tag weiter nach Mina. Wir wollten dort einen Tag verbringen und nach den Stationen Arafat und Muzdalifa nochmals für vier Tage hierher zurückkehren.

Mina ist eine Zeltstadt und unglaublich groß. Die Aufteilung der Camps richtet sich nach den Kontinenten. Ausgenommen unser Camp, bei dem mit „Türkei, Europa, Nordamerika und Australien" wohl „die westlichen Länder" zusammengefasst wurden. Ob das bedeutet, dass aus arabischer Sicht die Türkei zu den westlichen Ländern zählt oder diese Zusammenlegung nicht eher rein logistisch begründet ist, kann ich nicht sagen. Das Kontingent der türkischen Geschwister war jedenfalls enorm: Zahlreiche Straßenviertel waren rein türkisch.

Der Platz in unseren Zelten reichte anfangs nicht für alle. Wir mussten eng zusammenrücken. In unserem Zelt sollten 24 Frauen schlafen. Matratze neben Matratze, darauf jeweils „Frau" samt Gepäck. Das Zelt war klein, dadurch wurde es darin schnell heiß und stickig. Macht nichts, dafür gibt es ja überall die Klimaanlagen. Diese riesigen Metallröhren durchlaufen in weit über 2m Höhe alle Zelte. Nachteil dieser Anlagen ist, dass sie Lärm machen und einem die Luft wie ein Fön ins Gesicht blasen. Man kann die Leistung durchaus unterschiedlich einstellen, was in der Praxis bei einem Schalter in derartiger Höhe dann eine echte Herausforderung war. Einen Regenschirm griffbereit zu haben, erwies sich hier als äußerst nützlich. In jedem Zelt gab es Wasserspender und Abfallkörbe, die regelmäßig aufgefüllt bzw. geleert wurden. Steckdosen gab es auch, ein oder zwei pro Zelt. Da sie zum Handyaufladen oder für den Betrieb eines Wasserkochers benötigt wurden, waren sie fast ständig in Benutzung. Das war in der Handhabung nicht ganz leicht, weil auch die Steckdosen oben an der Klimaanlage angebracht waren....

Auf den Straßen gab es unzählige Händler, die Lebensmittel, Kleidung, Schmuck und sonstiges verkauften. Erwähnen könnte man noch die Sanitäranlagen. Anstehen musste man hier fast immer. Die Warteschlangen waren aber nicht so lange, wie ich befürchtet hatte. Neben den Waschgelegenheiten, auf die man aber teilweise von außen sehen konnte, gab es noch die Toiletten. Es waren Toiletten ohne Sitz, erfreulicherweise gab es dort immer Wasser. Eine der wenigen Toiletten mit Sitz aufzusuchen war keine empfehlenswerte Alternative, weil diese noch schneller als die anderen verschmutzten. In jeder Kabine war oben zusätzlich eine Brausestange angebracht, so dass man sich auch duschen konnte, was aber sehr gewöhnungsbedürftig war.

Arafat

Wir hatten einen Tag in Mina verbracht. Am nächsten Tag hieß unsere Station Arafat. Das ist der Name einer Ebene, wo sich alle Pilger für einen halben Tag versammeln, um dort zu beten. Als wir ankamen, waren viele Gruppen schon in den ihnen zugewiesenen Zelten. Für uns gab es keine Zelte. Natürlich waren für uns eigentlich genügend Zelte eingeplant und zugesagt worden. Ob sie von anderen Gruppen „fremdbesetzt" waren oder was sonst damit passiert ist, weiß ich nicht, jedenfalls waren keine Zelte da. Unsere Gruppenleitung bemühte sich, das Problem zu lösen und es wurde uns schnellstmöglicher Ersatz versprochen. Wir suchten uns solange einen Platz im Schatten und warteten ab. Es dauerte nicht lange und Arbeiter begannen, Ersatzzelte aufzubauen. Die waren nicht so komfortabel wie die richtigen, denn die waren rundum geschlossen, während die Behelfszelte nur die Sonne abhielten, zu allen Seiten aber offen waren. Unsere Gruppe war auch nicht die einzige, für die es keine Zelte gab. Als die Zelte aufgebaut waren, stürmten darum eine beträchtliche Menge Pilger zusammen, um sich einen Platz zu sichern und es gab ein ziemliches Durcheinander.
Wir haben - etwas verspätet - das Mittags- und Nachmittagsgebet gemacht. Der Teil unserer Gruppe, der zu Fuß von Mina nach Arafat gegangen war, traf nun nach vielen Stunden und reichlich erschöpft auch endlich ein.

Jetzt sollte eigentlich das Wichtigste beginnen: die Gebete. Uns war gesagt worden, dass der Tag von Arafat der wichtigste der Pilgerfahrt sei. Während der Zeit zwischen dem zusammengelegten Mittags- und Nachmittagsgebet und dem Sonnenuntergang kann jeder all das, was er auf dem Herzen hat, vor Gott bringen. Die Bittgebete hier haben ein ganz besonderes Gewicht. Jeder kann eine Bilanz seines Lebens ziehen und für alle seine Fehler, die er gemacht hat, um Vergebung bitten. Wer hier „reinen Tisch" macht, darf darauf hoffen, nach der Pilgerfahrt ganz neu beginnen zu können.

Wir waren entsprechend motiviert, diese wenigen Stunden möglichst sinnvoll zu nutzen, nur war das gar nicht so einfach. Hadsch ist nie einfach! Es war nämlich so, dass im Nachbarzelt gerade übers Mikrophon eine lange Ansprache auf Arabisch gehalten wurde. Gesehen hat man nichts. Das betreffende Zelt war eines der „richtigen" - also geschlossenen - Zelte. Dafür hat man alles gut hören können. Die Rede war laut und sehr leidenschaftlich....... Alle Pilger der näheren Umgebung kamen in ihren Genuss. Für mich hielt sich dieser Genuss in Grenzen. Abgesehen davon, dass ich nichts verstanden habe, war es einfach zu laut. Nach der Ansprache wurde dann auch gebetet. Es wurde laut vorgebetet und alle haben nachgesprochen. Als man fertig war und ich auf etwas Ruhe hoffte, begann aus einem Zelt gegenüber das Ganze wieder von vorn. Dieses Mal in Türkisch! Ich habe nichts gegen arabische oder türkische Gebete! Ich habe auch nichts gegen Gemeinschaftsgebete! Aber die Lautstärke hat mich wirklich fertiggemacht. Zu zweit sind wir auf die Suche nach einem ruhigeren Platz gegangen. Da die Zelte ja schon überfüllt waren, waren auch die verfügbaren Schattenplätze im Freien rar. Wir fanden noch ein freies Fleckchen im Schatten. An einen Wellblechzaun gelehnt, saßen wir auf dem Boden, keine zwei Meter vor uns sind die Leute vorbeigegangen. War das jetzt Arafat? So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Andererseits, vielleicht gehörte gerade das zu Arafat. Worauf kommt es denn eigentlich an? Einen möglichst guten Platz in einem möglichst komfortablen Zelt abzubekommen oder auf die Gebete selber? So gut es ging, versuchten wir uns zu konzentrieren und begannen zu beten. Es fiel mir schwer, mich nicht ständig ablenken zu lassen, aber nach einer Weile ging es dann. Wie wenig einladend unser Platz war, störte mich nicht mehr. Es war unwichtig geworden. Plötzlich kam einer unserer Gruppenleiter vorbei. Er sah uns, sagte, dass es noch ein freies Zelt gebe und zeigte uns den Weg. Zu zwei Dritteln war dieses Zelt mit einer kanadischen Pilgergruppe belegt, das letzte Drittel war für uns. Das Zelt war vorn und seitlich offen, aber das machte nichts. Hinten war es geschlossen, hatte Teppiche, Wasserspender und Abfallkörbe. Es gab hier sogar einen leichten und angenehmen Luftzug. Die Kanadier ließen ein Tonband mit Gebeten und Liedern laufen. Weil der Ton nicht allzu laut gestellt war, kam es mir wie eine dezente Hintergrundbegleitung vor, die in keiner Weise störend war. Ich staunte: In dem Moment, in dem wir bereit gewesen waren, uns mit unserem Wellblechsitzplatz abzufinden, bekamen wir unverhofft eine Unterbringung, die mir - verglichen mit der vorigen- geradezu fürstlich vorkam. Wir holten noch andere Schwestern in das Zelt und dann begann für uns wirklich Arafat. Es mag verwundern, wie man unter solchen Umständen überhaupt noch ernsthaft beten kann. Man kann es tatsächlich. Jede von uns wurde still und ging in sich. Irgendwann hatten wir alle Tränen in den Augen.

Muzdalifa

Am Abend brachten uns Busse von Arafat nach Muzdalifa. Bis unsere Gruppe an die Reihe für den Abtransport kam, dauerte es eine ganze Weile. An das Warten hatten wir uns inzwischen längst gewöhnt.

In Muzdalifa gibt es - abgesehen von den obligatorischen Wasch- und Toilettengelegenheiten - nichts. Nur der blanke Boden, auf dem sich die Pilger nach und nach niederließen. Es war schon eine schier unüberschaubare Menge Menschen da, als wir ankamen und ständig kamen noch mehr Pilger dazu. Längst war es dunkel, man konnte aber wegen der eingeschalteten Beleuchtung doch alles sehen. Wir waren von dem Anblick der Menschenmengen beeindruckt. In Arafat waren ja die meisten Pilger in Zelten untergebracht, so dass man gar keine Menschenmassen gesehen hat. Aber hier gab es keine Zelte. Wohin man geblickt hat: nur Menschen. Es gab kaum Lärm. Die Stimmung war friedlich. Die Ankommenden beteten das Abend- und Nachtgebet und sammelten dann die 70 kleinen Steinchen, die man in den nächsten Tagen brauchen würde. Man unterhielt sich noch, aß vielleicht etwas und legte sich schlafen. Wer wollte, konnte hier übernachten. Ich schloss mich denjenigen an, die nach Mitternacht zu Fuß nach Mina zurück gegangen sind.

Djamarat

Damit sind die Säulen gemeint, an denen eine symbolische Steinigung des Schaitans stattfindet.
In Mina sind diejenigen, die noch laufen konnten oder wollten, nach einer kurzen Pause weiter zur ersten Steinigung der großen Säule gegangen. Von Mina aus läuft man durch einen kleineren und einen großen Tunnel und noch eine zusätzliche Strecke, bis man bei den Djamarat ist. Dort sind wir dann über eine Brücke, mir kam es wie eine enorm breite Rampe vor, nach oben gelaufen. Auf der rechten Seite sind hintereinander mit jeweils großem Abstand die drei Säulen. (Genaugenommen sind das lange Mauern). Sie werden die kleine, die mittlere und die große Säule genannt und auch in dieser Reihenfolge aufgesucht. Lediglich beim ersten Mal geht man nur zur großen Säule. Jede Säule wird umgrenzt von einer ovalen Brüstung mit Geländer. Die Pilger stehen rings um das Geländer und bewerfen jede der Säulen mit je sieben kleinen (!) Steinchen. Damit sich hier nicht binnen kürzester Zeit ein ganzer Berg auftürmt, bleiben die Steinchen nicht liegen, sondern fallen nach unten durch. Nach der Steinigung befindet man sich auf einem großen Platz und geht auf einer extra Straße wieder zurück nach unten.

Gut aufpassen musste man vor allem, wenn man die Rampe hochlief und an den Säulen vorbeikam, denn viele der Pilger drängten zur Säule hin, während andere davon wieder weg wollten. Unsere Gruppenleiter sind mit uns immer in einem möglichst großen Bogen an den schon Werfenden vorbeigelaufen bis ganz nach hinten. Dort gab es weit weniger Andrang. Das Steinewerfen selber war kein Problem. Ich konnte jedes Mal ganz vorne am Geländer stehen und direkt auf die Säulen werfen. Die Säule war für mich dabei ein Symbol für das Schlechte, das man in Zukunft von sich fernhalten, sich sozusagen auf Abstand halten will. Steinigen, im Sinne von vernichten, kann man das Schlechte nicht, denke ich. Das wird es unter den Menschen immer geben, sei es in Form von Taten oder auch schon durch böse Absichten. Man kann sich aber dafür oder dagegen entscheiden.

Das Problematische bei den Djamarat war für mich mehr der Weg dorthin und zurück. Wir sind immer in der ganzen Gruppe gegangen und hatten jeweils ganz vorne und hinten eine Fahne an einem meterlangen Stab, so dass man sich auch aus größerer Entfernung noch gut daran orientieren konnte. Gleichzeitig kreuzten aber immer noch diverse andere Gruppen den Weg und es passierte innerhalb weniger Minuten, dass man sich plötzlich in einer fremden Gruppe wiederfand. Die verschiedenen Gruppen vermischten sich fast ständig und weil nicht jede mit dem gleichen Tempo unterwegs war, musste man aufpassen, um nicht in der falschen Gruppe hängenzubleiben. Dazu kam, dass man manchmal kaum genügend Platz hatte, um vor sich auf den Boden zu blicken. Mögliche Stolperfallen gab es leider in Hülle und Fülle. Auf dem gesamten Weg lagen unzählige einzelne Schuhe auf der Straße und immer wieder leere Plastikwasserflaschen. Gerade die Wasserflaschen waren tückisch. Ich habe einmal selbst gesehen, wie ein Mann darauf ausrutschte und stürzte. (Ihm ist nichts passiert. Man hat ihm gleich wieder aufgeholfen und er konnte weitergehen) Wo ich persönlich Beklemmungen bekommen habe, war in dem großen Tunnel. Es war übrigens nicht etwa heiß und stickig da drinnen, wie ich erwartet hatte, sondern kühl und richtig windig. Das lag an einem riesengroßen Gebläse, das sich oben an der Deck befand. Dennoch war ich immer erleichtert, wenn wir wieder draußen waren.

Bei der ersten Steinigung waren wir etwa um vier Uhr früh bei den Säulen angekommen. Ich hatte gedacht, um diese Zeit würde nicht so viel los sein, aber es waren auch jetzt schon gewaltige Pilgermengen unterwegs. Auf dem Rückweg ließen sich manche der Männer schon die Haare schneiden oder ganz scheren, um damit den Ihram (den Weihezustand während der Hadsch) zu beenden. Wir Frauen würden uns später eine Haarsträhne abschneiden. Wieder in unseren Zelten angekommen, ruhten wir uns zunächst einmal aus. Im Laufe des Tages machte sich noch einmal eine Gruppe auf den Weg zu den Säulen, denn für diejenigen die in Muzdalifa übernachtet hatten oder die am frühen Morgen noch zu müde gewesen waren, stand dies ja noch an. Einige machten den zweiten vorgeschriebenen Tawaf in Mekka. Wir hatten das auch vorgehabt. Da erfuhren wir, dass sämtliche Straßen völlig verstopft waren, man nicht absehen konnte, wie viele Stunden man allein für eine Strecke brauchen würde und viele Taxifahrer gar nicht bereit waren, nach Mina zu fahren. Unter solchen Bedingungen erschien es uns zu riskant, sich als Frauen allein auf den Weg zu machen, darum verschoben wir diesen Teil bis zu unserer Rückkehr nach Mekka. Dieser Tag auch war der Tag des Id-Festes, an dem die Opfertiere geschlachtet werden. Wir hatten für die Tiere und die Schlachtung Geld gegeben, mussten uns ansonsten aber nicht selber darum kümmern.

Die beengte Unterbringung in den Zelten hatte sich für uns inzwischen auch wesentlich verbessert. Zahlreiche Pilger waren bereits nach Mekka abgereist und wir konnten darum von einer größeren türkischen Gruppe die Zelte übernehmen. Für die restliche Zeit hatten wir ein viel geräumigeres und damit luftigeres Zelt, so dass wir die Klimaanlage meist gar nicht mehr brauchten. Jetzt konnten wir sogar ein großes Zelt als Moscheezelt für die gesamte Gruppe nutzen.

Als sich ein Großteil der anderen Pilger auf den Weg nach Mekka machte, verschwanden auch die Händler auf den Straßen zusehends. Immer mehr Zelte in unserer Nachbarschaft standen nach und nach leer. Sobald eine Gruppe weg war, wurden umgehend die Zelte komplett geräumt und die Teppiche, die den Sandboden im Inneren der Zelte bedeckt hatten, zusammengerollt und abtransportiert.

An den für uns verbleibenden drei Tagen in Mina - von Mittwoch bis Freitag - stand jeweils nochmals ein Gang zu den Djamarat auf dem Pflichtprogramm. An dem ersten dieser drei Steinigungstage war es am vollsten und das Gedränge entsprechend stark. Auf dem Rückweg sind wir sicherheitshalber einen Umweg gelaufen, weil unserer Gruppenleitung gesagt worden war, dass es einen Unfall vor dem großen Tunnel gegeben habe. Gerüchte von einem Brand im Tunnel mit 50 Toten machten die Runde. Ob oder was genau dort geschehen ist, habe ich nie erfahren. Am Donnerstag hieß es am frühen Nachmittag, dass es mittags bei den Säulen 500 Tote gegeben hätte. Plötzlich wurde sogar davon geredet, dass jemand aus unserer Gruppe dabei gestorben sei. Gestern 50 Tote, heute 500? Ich hielt das für Spekulation. Unsere Gruppe ist am Mittwoch und Donnerstag jeweils nach dem Nachmittagsgebet, etwas nach 16 Uhr, losgelaufen. Es war an dem betreffenden Donnerstag weniger voll als am Vortag. Dafür waren wesentlich mehr Sicherheitskräfte vor Ort und einige Stellen waren abgesperrt. Als ich beim wieder Herunterlaufen nach der Steinigung über 30 Krankenwagen unten aufgereiht stehen sah, begriff ich, dass doch etwas ganz Schlimmes passiert sein musste. Es sprach sich nun auch immer mehr herum, dass die Anzahl der Toten zwar nicht 500, aber doch über 350 sei und es wirklich Betroffene aus unserer Gruppe gab. Am Freitagmorgen bekamen wir die traurige Bestätigung: Einige Brüder aus unserer Gruppe waren tags zuvor um die Mittagszeit bei den Säulen gewesen. Um diese Zeit müssen sich dort unvorstellbare Pilgermengen aufgehalten haben. Bei der entstandenen Massenpanik war ein Mann aus unserer Gruppe gestorben. Wir waren alle sehr betroffen. Viele erinnerten sich an Begebenheiten mit dem Bruder und nun war er nicht mehr bei uns. Ich kannte keinen der Männer - unsere Gruppe hatte über 280 Teilnehmer - aber natürlich hat mich dieser plötzliche Todesfall auch bedrückt. Ich musste in den noch verbleibenden Tagen immer wieder daran denken: Einer von uns würde nicht mehr nach Hause zurückkehren. In keinem Augenblick hatte ich zuvor wirklich Angst um mein Leben gehabt. Es war anstrengend, immer darauf zu achten, nicht den Anschluss zu verlieren oder nicht auszurutschen, aber der Gedanke „Ich kann hier jeden Moment sterben" kam nie. Und dann passiert es und trifft jemanden von uns. Dazu keine schmächtige Frau, sondern einen Mann, von dem die anderen sagen, er sei so groß gewesen. Als wir dort gewesen waren, gab es doch weniger Andrang als am Vortag! Welche Szenen sich dort nur einige Stunden zuvor abgespielt haben müssen! Möge Gott sich der Seelen all dieser Menschen erbarmen!

Als wir am Freitag zur letzten Steinigung gingen, passten wir verständlicherweise besonders gut auf, um nicht die Gruppe zu verlieren. Dieses Mal war es gar nicht schwierig, in der Gruppe zu bleiben. Viele andere Pilger waren schon nach Mekka abgereist, so gab es weitaus weniger Gedränge. Man bekam nun auch einen Eindruck, wie riesig die Fläche um die Säulen herum ist. Sonst hatte man die Größe des Platzes vor lauter Menschen gar nicht sehen können.
Auf dem Rückweg erfuhren wir, dass die Beerdigung des verstorbenen Bruders in Kürze auf dem Friedhof in der Nähe von Mina stattfinden sollte. Eine Gruppe von Männern machte sich sogleich auf den Weg dorthin.

Mekka

Als wir am Nachmittag wieder zurück im Camp waren, packten wir unsere Sachen und machten uns für die Abfahrt nach Mekka bereit. Dort wartete im Hotel schon das Abendessen auf uns. In Mina hatten wir uns selbst verpflegt, d.h. Mitgebrachtes gegessen oder auf der Straße etwas gekauft. Gehungert hat niemand von uns in Mina, aber wir genossen nun doch das gute Essen im Hotel in Mekka. Auch über unser Badezimmer haben wir uns richtig gefreut: Saubere Toiletten und eine richtige Dusche! Eine Woche Zeltlager in Mina machen bescheiden und man weiß danach auch ganz einfache Dinge wieder zu schätzen.

Gleich am nächsten Morgen standen wir um 3 Uhr auf, um unseren Tawaf nachzuholen, mit dem die Hadsch dann abgeschlossen sein würde. Es war natürlich voll um die Kaaba herum (Es ist immer voll dort!), aber doch nicht so voll, wie wir befürchtet hatten. Deshalb wagten wir uns, den Tawaf unten zu machen. Zeitweise hatte man vor sich ein oder zwei Meter Platz, zeitweise war es so eng, dass man für Augenblicke gar nicht weiterlaufen konnte und warten musste, bis die Menge wieder in Bewegung kam. In den engeren Kreis direkt um die Kaaba versuchten wir erst gar nicht zu kommen, denn dort wurde richtig geschoben und von den Ellenbogen Gebrauch gemacht. Wir waren auch so zufrieden, wir waren immerhin in der Nähe der Kaaba. Jetzt „fühlte" ich auch endlich etwas beim Tawaf: Die Kaaba war nicht so klein, wie sie mir beim ersten Mal von oben vorgekommen war. Sie war groß und ihrer Schlichtheit sehr schön. Und ich war wirklich hier! Wirklich und wahrhaftig hier bei der Kaaba! In Mina hatte ich die Stellen im Koran nachgelesen, wo beschrieben wird, wie Abraham die Kaaba einst erbaut hat. Das muss man sich vorstellen: Man befindet sich an einem Ort, an dem sich schon Abraham aufgehalten hat. Der Prophet Mohammed hat hier gebetet. Seit über 1400 Jahren umrunden die Pilger hier nach dem immer gleichen Ritus die Kaaba. Wie viele Menschen wohl schon hiergewesen sind im Lauf der Jahrhunderte? Jetzt ist man selber hier und reiht sich ein in diese unvorstellbar lange Kette der Pilger. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl!

In den nächsten Tagen habe ich den Tawaf auch ganz oben auf dem Dach gemacht. Wenn man morgens zeitig kam, so etwa um ½ 4 Uhr früh, dann war der Platz noch ganz leer und nur vereinzelt Menschen dort, die schon Tawaf machten oder beteten. Die ersten Runden konnte ich fast immer in aller Ruhe direkt am Geländer entlang gehen. Dann nahm mit jeder Runde die Anzahl der Pilger wieder zu. Die Atmosphäre oben auf dem Dach hat uns besonders gut gefallen, so dass wir hier viel Zeit verbracht haben. Gerade auch abends, wenn es schon dunkel war und die Minarette von Scheinwerfern angestrahlt wurden, war die Stimmung eindrucksvoll. Der Blick von dort oben auf die Kaaba und die Menschen, die darum kreisen, ist großartig! Man könnte stundenlang dort stehen und einfach nur zusehen.

Wir hatten eine Woche in Mekka zur freien Verfügung. So viel Zeit, wie ich gedacht hatte, war das gar nicht. Denn die Gebete wollten wir natürlich alle in der Moschee beten und dadurch war der Tagesrhythmus schon vorgegeben. Auch wenn die Gebete selber nicht lange dauern, so muss man doch davor und danach entsprechend Zeit einplanen. Davor, um noch einen Platz zu bekommen und danach, um nicht ins ärgste Gedränge zu geraten.

In der Nähe der Moschee gibt es viele Einkaufsmöglichkeiten, die wir auch nutzen wollten. Die meisten von uns hatten noch diverse Besorgungen zu machen. Ich habe dort gar nicht so gern eingekauft. Viele der Verkäufer waren unfreundlich oder aufdringlich: „Merhaba, merhaba, merhaba, merhaba....." Wenn man nur an einem Verkaufsstand vorbeigegangen ist, scholl einem schon der Spruch entgegen. Beachtlich war dabei die Sprechgeschwindigkeit: bestimmt zwei „merhabas" in einer Sekunde, was diesen Willkommensgruß nicht sonderlich glaubwürdig machte. Beliebt war auch „Hadscha, hadscha, hadscha, hadscha......." Die Verkäufer in Medina hatten wir in viel angenehmerer Erinnerung. Doch, es gab auch in Mekka nette Verkäufer. Bei einem hatte ich zwei bunte Tücher gekauft und auf Englisch nach dem Preis gefragt. Als er wissen wollte, wo ich herkomme und das Wort „Germany" gefallen war, hat er mir ein weißes Tuch geschenkt. Synthetikfaser zwar - was ich gar nicht tragen kann - aber immerhin. Es ist ja die gute Absicht, die zählt!

Die letzte Woche in Mekka war schnell vergangen. Am Freitag war unser Abreisetag. Morgens hatten wir den Abschiedstawaf in der Moschee gemacht. Beim Mittagsgebet waren wir so naiv gewesen, zu glauben, wenn man eine Stunde früher käme, würde man in der Moschee noch einen Platz bekommen. Angesichts der Pilger, die schon im Treppenhaus ihren Gebetsteppich ausrollten, mussten wir uns doch draußen ein freies Eckchen suchen. Abends ging es dann mit den Bussen nach Jeddah, wo wir auf unseren Abflug warteten. Unsere Koffer waren schon morgens im Hotel abgeholt worden, so dass wir uns am Flughafen nicht mehr mit dem schweren Gepäck herumplagen mussten. Nach der letzten Kontrolle bekam jeder einen Koran geschenkt. Kurz darauf saßen wir im Flugzeug. Wir sind wieder mit der LTU geflogen. Die Flugbegleiter waren beide Male zuvorkommend, sehr freundlich und wirklich höflich. Als wir für den Rückflug ins Flugzeug kamen, habe ich gestutzt: Alle Stewards und Stewardessen trugen Mundschutz. Mein erster Gedanke war: In Deutschland ist die Vogelgrippe ausgebrochen!!!! Nachdem wir eine Weile geflogen waren und mir die allgemeine Geräuschkulisse bewusst wurde, die sich aus ständigem Husten, Schneuzen und Schniefen zusammensetzte, war mir klar, warum die Flugbegleiter den Mundschutz trugen. Ich hoffe, es hat sich keiner von ihnen bei uns angesteckt. Sie waren doch so nett zu uns gewesen.

Am Samstag früh kamen wir wieder in Deutschland an. Ich kam mir vor, als wäre ich monatelang unterwegs gewesen und hätte eine Weltreise hinter mir. Wie eine kleine Weltreise war die Pilgerfahrt auch gewesen: Wir sind dort wirklich Menschen aus allen Ländern der Erde begegnet.